1 Herzog Friedrich von Wirtenberg Der neue Landesherr



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-  34  -

Schulmeister  agierte  und  deklamierte  mit  dem  rasendsten 

Pathos.  Daß  dem  Löwen,  als  er  nach  Thisbe’s  Mantel 

schnappte,  die  Kopfmaske  entfiel,  hatte  nicht  viel  zu 

bedeuten,  denn  es  kam  dabei  eine  solche  Fülle  zottiger  Haare 

des  Meisters  Komyßel  zum  Vorschein,  daß  sie  füglich  für  eine 

Löwenmähne  gelten  konnten.  Zuletzt  freilich  passierte  ihm 

noch  ein  kleiner  Spuk.  Als  nämlich  sein  Freund  Quällenzer  so 

ausgezeichnet  agierte,  schlich  der  Löwe,  diesem  unbewußt, 

herbei,  um  sein  treffliches  Spiel  in  der  Nähe  zu  sehen,  und 

als  nun  der  lange,  dürre  Schulmeister  sich  gar  heroisch 

erstach,  fiel  er  der  Länge  nach  auf  den  Löwen,  der 

erschrocken  auf  die  Hinterbeine  sprang  und  nun  zur  großen 

Belustigung  der  Zuschauer  als  leibhaftiger  Meister  Komyßel 

dastand.  Der  tote  Pyramus  aber  zog  den  sich  Sträubenden 

rasch  in  den  Hintergrund,  und  Thisbe  durchstach  ihr  zartes 

Herz  so  rührend  mit  ihres  Liebhabers  blutigem  Dolch,  daß  ein 

allgemeines  Beifallklatschen,  mit  Lachen  untermischt,  sich 

erhob  und  der  Herzog,  der  sich  an  der  ganzen  Szene  sehr 

ergötzt  hatte,  die  Schauspieler  mit  großem  Lob  und  reichlich 

beschenkt  entließ.

Niemand  hatte  der  Aufführung  mit  mehr  Aufmerksamkeit 

und  größerem  Wohlgefallen  zugeschaut,  als  Shakespeare, 

welcher  der  Güte  Bouwinghausens  eine  englische  Übersetzung 

des  Quällenzerischen  Meisterstücks  verdankte.

Green  fragte  ihn  daher  auch  scherzend:  »Siehst  Du  jetzt 

ein,  William,  daß  Du  doch  nicht  der  größte  Tragiker  unserer 

Zeit  bist?  Merk’  nur  recht  auf,  daß  Dir  keine  der  Schönheiten 

dieses  Stücks  entgeht.«  Burbage  aber  gab  ihm  nach 

geendigter  Vorstellung  seine  Verwunderung  zu  erkennen,  wie 

er  einem  solchen  Machwerke  so  viel  Aufmerksamkeit  habe 

schenken  können.  -  Hierauf  jedoch  antwortete  Shakespeare: 



-  35  -

»In  seiner  Art  ist  dies  Machwerk  vorzüglich  und  mir  kommt 

es  ganz  geschickt.  Ich  hab’  euch  neulich  den  Plan  meines 

neuesten  Stücks,  mit  dem  ich  gerade  jetzt  beschäftigt  bin, 

mitgeteilt,  in  ihm  werd’  ich  die  ganze  Szene,  welche  wir  eben 

ansahen,  mit  noch  einem  gehörigen  Zusatz  von  Unsinn  und 

Abgeschmacktheit  aufnehmen;  wenn’s  auch  bekannt  wird, 

woher  ich  sie  nahm,  so  hat’s  nicht  viel  zu  sagen;  sie  haben 

mir  ja  auch  früher  schon  vorgeworfen,  daß  ich  mich  gerne 

mit  fremden  Federn  schmücke.  Welch’  prächtiger  Kontrast  zu 

Oberon,  Titania  und  ihren  zarten  Elfen  werden  diese 

tölpischen,  unbeholfenen  Gesellen  bilden!«

»Daran  erkenn’  ich  deinen  Geist,  William«,  sprach  Green, 

»der  auch  das  zu  benutzen  weiß,  was  andere  als  völlig 

unbrauchbar  wegwerfen  würden,  und  ich  freue  mich  schon 

jetzt  darauf,  diese  tragischste  aller  Tragödien  auf  der 

Schaubühne  zu  erblicken,  ja,  ich  erbiete  mich,  die  Rolle  des 

Pyramus  selbst  zu  übernehmen  und  denke  sie  trefflich 

darzustellen;  denn  ich  bin  mit  vieler  Aufmerksamkeit  dem 

poetischen  Spiele  des  Schulmeisters  gefolgt.«

Shakespeare  hat  auch  Wort  gehalten.  Quällenzers  Tragödie 

und  ihre  Aufführung  lieferten  ihm  den  Stoff  zu  dem 

ergötzlichen  Zwischenspiel  von  Squenz  und  Kompagnie  im 

»Sommemachtstraum«, 

und 

mein 


patriotisches 

Herz 


ist 

hocherfreut,  daß  ich  die  Ehre  der  ersten  Erfindung  davon 

einem  Landsmanne,  dem  gelehrten  Benedikt  Quällenzer, 

Bürger  und  Schulmeister  in  Stuttgart,  vindizieren  kann.  Auch 

die  gelehrte  Welt  wird  mir  für  diese  Entdeckung  und  meine 

Bereicherung 

der 

ohnedies 



schon 

so 


reichen 

Shakespeare-Literatur  dankbar  sein.

  Der  Mai  hatte  indes  seinen  vollen  Schmuck  entfaltet  und 

Täler 


und 

Anhöhen 


mit 

seinem 


weißen 

und 


rosigen 

-  36  -

Blütenschnee 

übergossen; 

die 


Maiglöckchen 

in 


den 

frischgrünen  Wäldern  läuteten  hell  zur  Maienluff;  laue 

Lüftchen  umspielten  schmeichelnd  die  bunten,  duftreichen 

Kinder  des  Lenzes,  und  dem  englischen  Dichter,  welcher  nicht 

allein  in  die  geheimsten  Falten  des  menschlichen  Herzens 

drang,  sondern  auch  gern  die  Natur  in  ihrem  stillen  Gange 

belauschte  und  ihrer  Schönheit  sich  freute,  wurde  es  ganz 

wohl  ums  Herz.  »Wollen  wir  nicht  auch«,  sprach  er  zu  seinen 

Freunden,  »einen  Maienmorgen  begehen  und  die  schöne 

Gegend  einmal  genauer  betrachten?«  Diese  waren  hiezu  gleich 

bereit  und  der  dienstfertige  Morel  sorgte  für  tüchtige  Pferde 

aus  dem  herzoglichen  Marstall.  S  ritten  sie  denn  an  einem 

hellen,  kühlen  Maienmorgen  zum  Tore  hinaus  und  weit  umher 

in  den  vom  Frühling  geschmückten  Gefilden.  Mancher  Scherz, 

manche  feine,  treffende  Bemerkung  floß  von  Shakespeares 

Lippen,  und  der  Leibdiener  wunderte  sich  sehr  über  die 

begeisterte  Stimmung,  in  welche  ihn  die  reizende  Natur 

versetzte,  für  deren  Schönheiten  er  in  der  schwülen, 

beengenden  Hofluft  allen  Sinn  verloren  hatte,  gab  sich  aber 

dennoch,  zur  nicht  geringen  Ergötzung  seiner  Begleiter,  alle 

Mühe,  in  des  Dichters  Ton  mit  einzustimmen.  Da  rief  ihm,  als 

sie  auf  einer  Höhe  hielten,  um  der  schönen  Aussicht  zu 

genießen,  Shakespeare  zu:

Siehst  Du  das  zarte  Blümchen  dort,

Sonst  milchweiß,  purpurn  nun  durch  Amors  Wunde,

Die  Mädchen  nennen’s  Lieb’  im  Müßiggang,

Hol’  mir  die  Blume,  denn  ihr  Saft,

Geträufelt  auf  entschlafene  Wimpern,

Macht  Mann  und  Weib  in  jede  Kreatur,

Die  sie  zuerst  erblicken,  toll  vergafft



-  37  -

Dies  war  dem  Leibdiener  doch  zu  viel;  »Ihr  treibt  Euern 

Scherz 

mit 


mir, 

Herr 


William«, 

sprach 


er, 

»solche 


Wunderkräfte  kann  das  Blümchen  dort  unmöglich  haben,  es 

sieht  ja  nicht  besser  aus  als  eine  Gänseblume.«  -  Lachend 

entgeg-nete  Shakespeare:  »Probiert’s  nur  einmal,  Freund 

Cäsar,  und  Ihr  werdet  sehen,  ob  ich  die  Wahrheit  sprach 

oder  nicht.«  Morel  jedoch  schüttelte  ungläubig  den  Kopf  und 

sie  ritten  weiter.  Der  Leibdiener  versäumte  nicht,  sie  auch 

nach 

der 


alten 

Stammburg 

des 

wirtenbergischen 



Fürstengeschlechts  zu  führen,  wo  ein  Frühstück  eingenommen 

werden  sollte.  Lange  verweilte,  versunken  im  Anblick  der 

lieblichen  Gegend,  Shakespeare  auf  dem  steinernen  Altan  der 

Burg  und  rief  dann:  »Schön  seid  ihr,  meiner  Heimat  Gefilde, 

ihr  Gestade  des  rauschenden  Avon,  doch  im  Lenzesschmucke 

prangt  dieses  Tal  noch  herrlicher  als  ihr;  gleich  einem 

Silberband  durchzieht  der  Fluß  dessen  buntgewirkten  Teppich, 

und  die  Dörfer  liegen  so  still  in  seinem  Grunde,  oder  an 

seinen  rebenbekränzten  Abhängen,  und  ruhen  friedlich  unter 

dem  Schutze  ihrer  Gotteshäuser!«  -  »Die  Gegend  ist  schön«, 

fiel  hier  Morel  dem  begeisterten  Dichter  ins  Wort;  »ich  hab’s 

Euch  schon  gesagt;  aber  wer,  wie  ich,  so  weite  Reisen  mit 

Seiner  Durchlaucht  machte  und  dadurch  auch  in  der 

Baukunst  sich  einige  Kenntnisse  erwarb,  der  wird  doch 

gestehen  müssen,  daß  die  Bauart,  absonderlich  auch  jener 

Kirchen,  viel  schöner  sein  könnte.«  -  Dieser  Wasserguß  kalter 

Prosa  störte  den  Dichter  sehr  unsanft  in  seiner  Begeisterung, 

und  er  rief  aus:  »O  Cäsar!  Cäsar!  für  diese  Rede  hast  Du 

einen  zweiten  Brutus  und  Cassius  verdient!«  -  Seine  Gefährten 

lachten  laut  auf  und  das  Gespräch  nahm  eine  lustige 

Wendung.


-  38  -

Die  Prosa  hatte  sich  aber  heute  recht  eigentlich  gegen  die 

Poesie  verschworen.  Als  Shakespeare  wieder  in  Stuttgart 

ankam,  war  die  erste  Person,  welche  er  erblickte,  Benedikt 

Quällenzer,  welcher  erfahren  hatte,  daß  der  Dichter  lateinisch 

spreche,  und  sich  nun  nicht  abhalten  ließ,  seinem  Mitbruder 

in  Apollo,  wie  er  ihn  nannte,  einen  Besuch  abzustatten.  »Ach!« 

seufzte  Shakespeare,  als  er  ihn  sah,  »jetzt  ist’s  vollends  aus 

mit  der  Poesie,  da  kommt  gar  der  Pyramus  der  Tragödie,

ein  Schulmonarch,  ein  Knabenbändiger, 

dem  an  Großhaftigkeit  kein  Staubsohn  gleicht!«

Er  hatte  sich  aber  schnell  gefaßt  und  nun  war  es  ein 

ergötzliches  Schauspiel,  den  Dichter  und  den  Poeten  einander 

gegenüber  zu  sehen  und  zu  hören,  wie  letzterer  den  ersteren 

in  hochtrabender  Weise  begrüßte,  mit  sich  und  seinen  Werken 

bekannt  machte  und  ihm  mehrere  seiner  lateinischen 

Gedichte,  gar  sauber  und  zierlich  geschrieben,  überreichte. 

Denn  seit  Herzog  Friedrich  dem  Dichter  die  goldene  Kette 

umgehängt  hatte,  räumte  Quällenzer  diesem  doch  bescheiden 

den  Vorrang  ein.  Shakespeare  spielte  seine  Rolle  meisterhaft 

und 

wußte 


den 

Schalk 


unter 

allerlei 

bombastischen 

Redensarten  zu  verbergen,  so  daß  der  Schulmonarch  mit  der 

Aufnahme,  welcher  er  bei  ihm  gefunden  hatte,  sehr  zufrieden 

war. 


Noch 

lange 


nachher 

erzählte 

er 

mit 


großer 

Selbstzufriedenheit,  wie  freundlich  sich  sein  contracter  in 

Apolline,  der  englische  Dichter,  gegen  ihn  bewiesen  habe,  und 

bedauerte  nur,  daß  er  aus  Unkenntnis  der  englischen  Sprache 

dessen  vortreffliche  tragoedias  et  comoedias  nicht  lesen 

könne.  Gretchen  Kornyßel  aber  gab  noch  oft  die  rührende 

Geschichte  von  dem  Freie  und  dem  Junker  im  Kreise  ihrer 


-  39  -

Gespielinnen  preis,  und  die  heißen  Zähren,  welche  sie  dabei 

jedesmal  vergoß,  bewirkten,  daß  auch  die  Tränenschleusen 

ihrer  Freundinnen  sich  mit  öffneten.  Am  meisten  jedoch 

brüstete  sich  im  Hirsch  Cäsar  Morel  mit  der  Freundschaft  des 

englischen  Dichters,  von  dessen  großen  Vorzügen  er  auch  die 

ehrsamen  Bürger  Stuttgarts  vollkommen  zu  überzeugen  wußte. 

Er  wurde  nicht  müde,  von  ihm  und  seinen  Genossen  zu 

erzählen,  welche  in  den  letzten  Tagen  des  Mai,  wohl  zufrieden 

mit  ihrer  Aufnahme  und  reichlich  vom  Herzog  beschenkt, 

Stuttgart  wieder  verlassen  hatten.

So  wirktest  Du  auch  während  Deines  kurzen  Aufenthalts  in 

Wirtenbergs  Hauptstadt  Großes,  herrlicher  »Schwan  vom 

Avon«,  und  es  freut  mich  sehr,  daß  ich  der  erste  war, 

welcher  seinen  Landsleuten  verkündigen  durfte,  wie  einst 

auch 


Stuttgart 

das 


Glück 

hatte, 


den 

unsterblichen 

Shakespeare  in  seinen  Mauern  zu  sehen.

Das  Ordensfest

Die  Prophezeiung  Morels,  daß  der  glänzende  Hofstaat,  die 

Prachtliebe  und  die  vielen  Feste  Friedrichs  den  Bewohnern 

Stuttgarts  nicht  nur  Unterhaltung,  sondern  auch  Gewinn 

verschaffen  würden,  war  richtig  eingetroffen,  aber  ebenso 

auch  die  Befürchtung  patriotisch  gesinnter  Männer;  wegen  des 

Eindringens  fremder  Sitten  und  Torheiten.  Seine  französische 

Leibwache  hatte  der  Herzog  zwar,  weil  ihre  allzu  ausgelassene 

Aufführung  großen  Unwillen  erregte,  gleich  im  November  1593 

wieder  fortgeschickt;  aber  an  seinem  Hofe  traf  man  noch 

immer  genug  Freunde,  Franzosen,  Engländer  und  Italiener. 

Jede  Jahreszeit  brachte  andere  Feste  und  Vergnügungen, 



-  40  -

Ringelrennen  und  Fußturniere,  Schießen  mit  Armbrust  und 

mit  Feuergewehren,  Fechtspiele,  Tänze  und  Konzerte.  Die  Zahl 

aller  zum  Hof  gehörigen  Personen  betrug  gegen  400;  neben 

den  höheren  Hofbeamten  fand  man  da  eine  wohlbesetzte 

Hofmusik,  welche  der  kunstfertige  Johann  Konrad  Raab  als 

Kapellmeister  dirigierte,  eine  40  Mann  starke  Trabantenschar, 

lauter  stattliche,  hochgewachsene  Männer,  unter  den  Befehlen 

des  Hauptmanns  Rudolf  Reinhard;  ein  starkes  Jagdpersonal, 

viele  Köche  und  andere  Diener,  Kämmerer,  Lakaien,  Jungen, 

Knechte,  Hofmeister  und  Boten,  auch  einen  ansehnlichen 

Marstall  mit  Pferden,  Maultieren  und  Eseln,  selbst  zwei 

Kamelen,  welche  der  nach  Kunst-  und  Naturseltenheiten 

begierige  Herzog  mit  schweren  Kosten  herbeigeschafft  hatte, 

die  aber  bald  dem  ungewohnten  Klima  erlagen.  Auch  einen 

Zwerg,  Stenglin,  hielt  der  Herzog,  ein  kleines  niedliches 

Männlein,  das  bei  ihm  in  großer  Gunst  stand  und  wegen 

dessen  einmal  der  Stallmeister  Haugwitz  scharf  bestraft 

wurde,  weil  er  »trunkenerweise  die  Wehr  gegen  es  zuckte«. 

Die  Hofdiener  aber  waren  ein  ausgelassenes,  übermütiges 

Volk,  welches  allerlei  Unfug  trieb,  sang,  schrie  und  lärmte, 

nirgends  lieber  aber  sich  verweilte,  als  in  Weinschenken  oder 

beim  Essen  in  der  Tumitz.  Der  Hofmarschall  selbst  klagte,  daß 

sie  sich  »wie  die  Säue«  aufführten  und  daß  selbst  das  niedere 

Gesinde  zur  Mahlzeit  »Weißbrot,  Braten  und  Fische«  begehre. 

Solche  Leute  konnten  auf  Stuttgarts  männliche  Jugend  keinen 

guten  Einfluß  ausüben,  und  wirklich  ging  es  oft  gar 

ausgelassen 

her. 

Dies 


war 

besonders 

während 

der 


Fastnachtszeit  der  Fall,  wo  sich  die  Leute  »schier  toll  und 

rasend« 


stellten, 

mit 


Masken 

und 


in 

»Butzenkleidern« 

vermummt  umherliefen,  mit  Kuhschellen,  Fuhrmannspeitschen 

und  schrecklichem  Gebrüll  den  ärgsten  Lärmen  verführten 



-  41  -

und  Tag  und  Nacht  allerlei  Mutwillen  ausübten.  Der  Herzog 

aber  war  hierin  sehr  nachsichtig;  wenn  Beschwerden  über  die 

Fastnachtstollheiten  bei  ihm  geführt  wurden,  achtete  er  nicht 

darauf,  sondern  meinte,  man  könne  niemand  eine  gebührliche 

Fastnacht  wehren.

Bei  den  höheren  Ständen  fanden  auch  die  fremden  Sitten 

und  die  Romane  des  Auslandes,  welche  die  Welschen  zuerst 

in 

das 


Land  brachten, 

vielen 


Eingang. 

Schauer 


und 

Erstaunen,  Freude  und  Schmerz  bewegten  abwechselnd 

besonders  die  zarten  Frauenherzen,  wenn  sie  von  den  kühnen 

Taten  und  schrecklichen  Abenteuern  des  Amadis  von  Gallien, 

dieser  Perle  aller  fahrenden  Ritter,  von  dem  mannhaften 

Esplandian,  dem  galanten  Lancelot  vom  See  lasen,  und  wie 

pochte  vollends  ihre  Brust  von  bisher  unbekannten  Gefühlen, 

wenn  die  Dichter  die  Liebe  des  Paris  und  der  Vienna,  des 

Tirant  und  der  Cölestine,  des  Punthus  und  der  Sidonia  mit  so 

vielem  Feuer  schilderten!  Da  war,  wie  der  Hofprediger  Lukus 

Osiander  öffentlich  rügte,  kein  Maß  noch  Aufhören  der 

Hoffart,  sondern  was  aus  Frankreich,  Niederland,  Welschland 

und  von  andern  hoffärtigen  Völkern  nach  Deutschland  kam, 

das  mußte  man  alsbald  auch  haben  und  nachtun,  es  mochte 

kosten,  was  es  wollte,  obgleich  solche  Hoffart  den  Weibern 

und 


Jungfrauen, 

den 


Männern 

und 


Hausvätern 

übel 


haushalten  half  und  viel  dazu  diente,  daß  man  verarmen,  sich 

in  Schulden  einlassen  und  endlich  an  den  Bettelstab  gelangen 

mußte.  »Es  geht«,  sagt  der  strenge  Sittenmeister,  »bei  den 

Weibspersonen  eine  große  und  leider  schier  allgemeine  Sünd’ 

im  Schwang,  das  ist  nämlich  die  Hoffart  in  Kleidung  und 

Schmuck  des  Leibes,  darin  sie  ganz  und  gar  kein  Maß  halten 

können  oder  wollen,  und  es  sind  derer  viel  mehr,  die  den 

Leib  äußerlich  schmücken  und  mit  köstlichen  Kleidern  zieren, 



-  42  -

denn  derer,  die  nach  dem  inwendigen  Schmuck,  nämlich  nach 

wahrer 

Gottesfurcht, 



Demut, 

Gehorsam 

und 

andern 


christlichen 

Tugenden 

mehr 

trachten. 



Dieser 

geistliche 

Schmuck  ist  bei  vielen  in  keinem  Ansehen,  sondern  was 

prächtig,  köstlich,  stolz  und  hoffärtig  ist,  das  gefällt  ihnen, 

dem  trachten  sie  nach.«  Er  verbreitete  sich  dann  auch  weit 

über  das  einzelne  der  Kleidung,  spricht  von  den  kleinen  aus 

Welschland  gekommenen  »Samthütlein«,  welche  nicht  den 

vierten  Teil  des  Hauptes  bedeckten,  vom  Aufziehen  der  Haare 

über  Drähte,  so  daß  sie  einem  »Säuhag«  nicht  unähnlich 

sehen,  vom  Anstreichen  und  Färben  der  Gesichter,  von  den 

aus  fremden  Landen  hergebrachten  großen,  langen,  breiten 

und  dicken  »Krößen«  (Krausen)  um  den  Hals  aus  köstlicher, 

zarter,  teurer  Leinwand,  die  man  mit  Versäumnis  anderer, 

besserer  Geschäfte  stärke  und  mit  heißen  Eisen  aufziehe,  von 

den  Reifen  unten  an  den  Kleidern,  den  unmäßig  hohen 

Schuhen  und  Pantoffeln.  Aber  auch  das  männliche  Geschlecht 

erhielt 

seinen 


guten 

Anteil 


an 

der 


Osian-der’schen 

Strafpredigt.  »Die  Mannspersonen  jetziger  Zeit«,  heißt  es, 

»stellen  sich  in  Kleidung  und  Zier  ihres  Leibes  dermaßen,  als 

hätten  sie  geschworen,  daß  sie  es  dem  weibÜchen  Geschlecht 

mit  Hoffart  und  Üppigkeit  weit  zuvortun  wollten.  Sonderlich 

zieren  sie  sich  gemeiniglich  also,  daß  sie  an  ihrem  Leib 

dadurch 

häßlich 


entstellt 

werden; 


und 

dies 


soll 

nichtsdestoweniger  hübsch  und  zierlich  sein.  Um  die  Hüte 

tragen  sie  samtene  Weibergürtel  mit  vergoldeten  oder 

silbernen  Spangen;  sie  gewöhnen  immer  die  Haare  über  sich, 

daß  sie  müssen  gestrobelt  sein,  als  wenn  eine  Sau  zornig  ist, 

daß  ihr  die  Borsten  über  sich  stehen.  Hinten  und  zur  Seite 

aber  müssen  sie  gar  lang  und  zottig  sein;  das  hat  dann  ein 

Ansehen,  als  wenn  junge  Katzen  eine  Zeitlang  daran  gesogen 



-  43  -

hätten  oder  als  wenn  morgens  ein  polnischer  Bauer  aus  dem 

Stroh 

hervorbricht, 



oder 

als 


wenn 

der 


Teufel 

einen 


hintenwärts  durch  den  Zaun  gezogen  hätte.  Gar  herrlich 

nehmen  sich  auch  die  langen  und  breiten  Krößen  aus;  denn 

aus  ihnen  ragt  ein  langer,  dürrer  Hals  hervor;  um  diesen 

aber  schlingt  man  jetzt,  statt  der  goldenen  und  silbernen 

Ketten,  wie  früher,  einen  seidenen  Strick,  dessen  Zipfel  auf 

dem  Rücken  geknüpft  werden;  die  weiten  und  langen  Ärmel 

sehen 

den 


Kommissäcken 

der 


Landsknechte 

und 


Wurstsammler  gleich  und  sind  gut,  um  auf  dem  Tische 

Pfeffer,  Brei  und  Gemüse  damit  zu  kredenzen.  Der  herrlichste 

Schmuck  aber  sind  die  häßlichen,  langen,  ausgefüllten 

>Gänsbäuche<,  welche  vom  Hals  herab  bis  weit  unter  den 

Gürtel  reichen,  und  die  kleinen  Mäntelchen,  welche  der 

deutschen  Ehrbarkeit  ganz  widerstreiten.  Auch  schlürft  man 

nicht  allein  im  Winter,  sondern  auch  mitten  im  Sommer  in 

Pantoffeln  daher,  und  junge  Kerle  schleifen  dieselben  an  den 

Füßen  nach  und  klopfen  damit  wie  alte  sechzig-  und 

siebenzigjährige  Weiber.  Dazu  ist  es  nicht  mehr  allein  um  die 

Form  der  Kleider  zu  tun,  sondern  auch  um  den  Stoff;  man 

begnügt  sich  nicht  mehr  mit  Samt  und  Seide  allein,  sondern 

man  muß  auch  silberne  und  goldene  Borten  haben.«

Eine  besondere  Ehre  setzte  Herzog  Friedrich  auch  darein, 

fremde  Orden  zu  haben.  Den  französischen  St.  Michaelsorden 

hatte  er  schon  1596  erlangt,  und  viele  Mühe  gab  er  sich,  den 

Orden 

des 


blauen 

Hosenbandes 

zu 

bekommen. 



Seine 

Erwerbung  war  ein  Hauptzweck  der  Reise  nach  England,  und 

die  Königin  Elisabeth  versprach  ihm  denselben  auch  damals; 

obwohl  der  Herzog  aber  einigemal  eigene  Gesandtschaften 

deswegen  an  sie  schickte,  erlangte  er  ihn  doch  erst  nach 

ihrem  Tode  durch  ihren  Nachfolger,  den  König  Jakob  I.  Als 



-  44  -

die  sichere  Kunde  hievon  nach  Stuttgart  kam,  wurden  zum 

würdigen  Empfang  der  Gesandtschaft,  welche  den  ersehnten 

Orden  bringen  sollte,  große  Zurüstungen  gemacht.  Die 

fürstliche  Familie  versammelte  sich,  Lehensleute,  Provi-sioner, 

geistliche  und  weltliche  Behörden  wurden  einberufen.

Der  Hofrat  von  Bouwinghausen  war  Oberzeremonienmeister 

und  hatte  die  oberste  Leitung  bei  all  diesen  Anstalten;  ihm 

war  der  Kämmerling  Francois  du  Bois  beigegeben,  und  eine 

Menge  geschäftiger  Hände  setzten  sich  unter  ihrer  Leitung  in 

eifrige  Bewegung.

In  den  Hauptlokalen  des  Festes  wurden  der  Rittersaal  im 

Schlosse  und  die  Stiftskirche  bestimmt.  Im  Chor  der  letzteren 

erhoben 


sich 

vier 


prächtig 

geschmückte, 

mit 

Purpur 


ausgeschlagene  Thronsessel.  Auf  dem  ersten  und  höchsten 

derselben  erblickte  man  das  englische  Wappen  mit  einer 

Inschrift,  welche  anzeigte,  daß  dieser  Thron  bestimmt  sei:  au 

tres  haut,  tres  puissant  et  tres  excellent  prince  James,  par  la 

grace  de  Dieu  roi  d’Angletene  etc.,  rechts  und  links  davon 

standen  die  Thronsessel  für  den  englischen  Gesandten  und 

Ordensherold,  gegenüber  der  für  den  Herzog  selbst  bestimmte 

Thron  mit  dem  wirtenbergischen  Wappen.  Die  eichenen 

Kirchenstühle  der  ehemaligen  Stiftsherren,  mit  rotem  Tuche 

ausgeschlagen,  dienten  zur  Aufnahme  des  Gefolges;  mit 

gleichem  Tuch  war  der  Boden  bedeckt,  der  Hauptaltar  und 

die  Kanzel  der  Kirche  wurden  mit  rotseidenen  Decken 

versehen.  Für  die  Herzogin  und  ihre  Töchter,  für  die 

Hofdamen  und  Hoffräulein  war  ein  Teil  der  Emporkirche 

hergerichtet  und  mit  Glasfenstern  versehen.  Im  Rittersaal, 

welchen  kostbare  Tapeten  schmückten,  stand  mitten  die  für 

den  König  bestimmte  Tafel,  unter  einem  mit  dessen  Wappen 

versehenen  Thronhimmel  ein  kostbarer  Armstuhl,  rechts 



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